Bauhausbücher.

Grafische Synthese - synthetische Grafik

Die Reihe der Bauhausbücher startete im Dezember 1923 als gewaltiges Projekt, das zeit seiner Existenz bis 1926 ständig in Bewegung war. Am Anfang stand ein 30-Themen-Programm.

Nach zwei Jahren kam dann eine Serie von 8 Büchern auf einmal auf dem Markt. Weitere 31 Titel waren "in Vorbereitung". Die Pläne blieben bis Juni 1926 unverändert umfangreich, Autoren und Titel aber wurden häufig ausgetauscht. Ein Jahr später jedoch, 1927, als 10 Bände vorlagen, waren nurmehr 4 neue Bücher in Vorbereitung. Das gigantische Projekt war auf 14 Bände zusammengeschmolzen, deren letzter erst 1930 fertig werden sollte.

Inflation der Titel

"Konstruktivismus" und "Die neue Lebenskonstruktion" sind die Leitmotive des frühesten erhaltenen Konzepts vom Dezember 1923. László Moholy-Nagy formulierte es. Hier ein Überblick, aus dem man ersehen kann, welche Ideen in der Folgezeit synchron existierten bzw. als Buch realisiert wurden und welche auf der Strecke blieben. Die Lebensdauer bzw. Veränderung der einzelnen Titel läßt sich horizontal ablesen. Die ersten fünf Kolumnen der Zeitleiste beziehen ihr Datum aus fünf verschiedenen Dokumenten:

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Die 30 Punkte eröffnen ein ungeheuerliches Spektrum an "Spezialfragen" aus Kunst, Wissenschaft und Technik. Ihre Zusammengehörigkeit sollte mit der Buchreihe thematisiert werden gemäß der Absicht des Bauhauses, "einer Synthese aller schöpferischen Arbeiten näherzukommen." Um der fachlichen Isolierung der Gestalter entgegenzuwirken, wollte man ihnen "Arbeitsergebnisse der verwandten und benachbarten Gebiete" als "Vergleichsmaßstab" für die eigene Arbeit an die Hand geben.(Programm der Bauhaus Bücher, Bauhausverlag 1924)

 

"Bau" - das Motto der Schule - kam in engerem Sinne zweimal vor: Bauten mit realem Zweck und Architektur in Kombination mit Malerei. Während Gropius 1924 die erstere Variante zusammenstellte, konkretisierte sich das andere Thema in Kandinskys Unterricht und hieß "Architektur und Malerei der Wandmalereiwerkstatt des Bauhauses". Im August jenes Jahres schien es jedoch besser, die Bauhausproduktion als Ganzes zu dokumentieren. Man dachte an zwei Titel: "Architektur, Malerei und Plastik des Bauhauses", und "Neue Arbeiten der Bauhauswerkstätten". Der erstere starb noch 1924 - galt doch die Bauhaus-Produktion als Alternative für die tot geglaubten freien Künste.

 

Bis 1925 kamen ständig Bücher hinzu, die Bauhäusler zusammenstellen oder schreiben wollten. Im Mai 1924 waren es 12, im August 17-18. Kandinsky und Klee ließen je ein zweites eigenes Buch ankündigen  (Wassily Kandinsky: Violett. Bühnenstück mit Einleitung und Szenerie; Paul Klee: Bildnerische Mechanik) - genau wie die Herausgeber zuvor (W. Gropius: Internationale Architektur und Neue Architekturausstellung sowie L. Moholy-Nagy: Film und Fotografie und Werkarbeit der Gestaltungen) - und Gropius und Schlemmer planten gar ein drittes Buch, letzterer gar einen Doppelband.  (Walter Gropius: Das Flache Dach und Oskar Schlemmer: Bildermagazin I und II)

Das Anwachsen des Bauhausanteils am Buchprogramm läßt sich als Strategie gegen den wachsenden politischen Druck lesen, den man in Weimar spürte. Schon seit Gründung der Schule hatte es Direktor Gropius an Öffentlichkeitsarbeit nicht fehlen lassen, um Kritik und Attacken entgegenzuwirken. Auch die Absicht, die Ergebnisse der Schule im Kontext mit internationaler Avantgarde zu präsentieren, ist nicht frei von dem Bedürfnis nach Image-Verbesserung und nach solidarischer Unterstützung seiner unsicheren Position. Mit dem bauhaus-eigenen Verlag endlich, 1923, schien es leichter, dies, wann immer nötig, in Bauhaus-typischer Form zu tun.

 

Buch 1, Gropius´ "Internationale Architektur" und 5 weitere Architekturbücher, von Bauhäuslern geplant , hätten 1925 mit einer ergänzenden 7-teiligen Serie von internationalen Architekten einen eindrucksvollen Hintergrund erhalten. Er blieb Fragment bis auf Ouds "Holländische Architektur". Gleichzeitig hätte die gesamte Bauhausarbeit mit der "Entstehung der modernen Gestaltungsbewegungen" an ihrem Horizont zusätzliche Tiefe gewonnen. Dieser Punkt aus dem Moholy-Entwurf war derzeit bereits in 7 oder 8 Titel untergliedert , von denen dann 1928 nur zwei erschienen: Gleizes´ "Kubismus" und Malewitschs "Gegenstandslose Welt".

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Kürzungen

Die umfangreiche Bauhaus-Dokumentation wurde zusammen mit dem großen "Rahmenprogramm" Anfang 1927 gestrichen. Das hat sicher mehrere Ursachen. Eine jedenfalls ist diese: Der Leistungsbeleg bedurfte nicht mehr der internationalen Hintermalung, schon gar nicht der repräsentativen, umständlichen Buchform. Der erfolgte praktisch bzw. in anderen Medien.

Eine weitere Ursache ist die rasante Entwicklung der Themen. 1927 befand man sich zum Beispiel nicht mehr im Stadium der "Entstehung der modernen Gestaltungsbewegungen" und konnte auf diesen Themenkomplex verzichten. Anthologien wie Lissitzkys "Kunst-Ismen" oder Kállais "Neue Malerei in Ungarn" waren erschienen - außerhalb des Bauhauses - so erübrigte sich dieser Teil des Rahmenprogramms. Etliche der 1923 grob formulierten "Spezialthemen" hatte die Schule selbst praktisch in die Hand genommen und derart vorangetrieben, daß ihre Dokumentation als Buch ohnehin die im Zwei-Mann-Betrieb redigierte und gestaltete Buchreihe gesprengt hätte. Diese Funktion übernahm jetzt die gerade gegründete Bauhauszeitschrift. Ihr war 1923 ein theoretisches Thema vorausgegangen: "Kritik der bestehenden Zeitschriften und Vorschläge zu einer neuen, richtigen". Die "Mangelhaftigkeit wortkarger oder oberflächlicher Zeitungsberichte oder illustrierter Zeitungen", noch im ersten Verlagsprogramm immerhin der Anlaß, eine Buchserie dagegenzusetzen, wurde zum zweiteiligen Buchthema, (1924: Bildermagazin der Zeit von Oskar Schlemmer und seinem Schüler Joost Schmidt, 1925/26 von Joost Schmidt allein übernommen), ehe man im Dezember 1926 ein neues, unabhängiges Medium herausbrachte. In den Augen der Herausgeber beider Publikationen, Walter Gropius und László Moholy-Nagy, hatte sich das Bauhaus endgültig an die Spitze der "Vorkämpfer einer neuen Lebensgestaltung" manövriert, die es extra zur Mitarbeit an den Büchern herangezogen hatte. Deren Unterstützung bei der großen "Synthese" benötigte es nicht mehr. Damit hatte sich der ursprüngliche Sinn der Buchreihe aufgelöst.

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Teamwork

Es bleiben 9 Bücher von Bauhaus-Autoren zu betrachten, eingeleitet von Gropius´ "Internationale Architektur" und - ganz programmgemäß - mit Doesburgs und Mondrians Beiträgen zur Neuen Gestaltung. Dazu kommen drei weitere "Rest-Titel" aus dem übrigen "Rahmenprogramm". Moholy machte diese Unterscheidung nicht. Er hatte eine lockere Folge von reich bebilderten "vergänglichen Broschüren" vor Augen vom Umfang des heutigen Pädagogischen Skizzenbuches von Klee. Ein "lebendiges und bewegliches Programm" (s. 30-Themen-Programm von Moholy) war noch 1924 das Ziel. So hatte Moholy den Autoren angeboten, selbst für die Ausstattung ihrer Bücher zu sorgen. Adolf Meyer machte als Einziger davon umfassend Gebrauch. Seine Typografie war so sorgfältig und brauchte derartig viel Satzmaterial, daß die Produktion der anderen 3 Bücher in derselben Druckerei ins Stocken geriet. (Kat.Nr. 151 in: Ute Brüning (Hg.): Das A und O des Bauhauses. Ausst.-Kat Bauhaus-Archiv Berlin 1995 im Folgenden zit. als "A+O".) Vier andere Autoren und drei, die nicht mehr zum Zuge kamen, (Marianne Brandt: Umschlagentwurf für "Bildermagazin der Zeit", 1925/26, erwähnt in: bauhaus 7, Galerie am Sachsenplatz, Leipzig o.J. Lajos Kassák: Umschlagentwurf für "MA - Ungarische Gruppe", Bauhaus Bücher 18, 1926, Kassák-Museum Budapest. László Moholy-Nagy: Umschlagentwurf für Bauhaus Bücher 18, 1927, BHA Berlin [Datierung lt. Elena Belemkaja, anhand der verwendeten Zeitschrift "Sovrememja"].) steuerten Entwürfe für Schutzumschläge bei. So zeigt das Cover von Buch 1 einen Molnár-Entwurf, überarbeitet von Moholy, (vgl. Kat.-Nr. 140, A+O) von Buch 8 einen Kandinsky-Entwurf, (Abb. in: Kandinsky. Russische Zeit und Bauhaus-Jahre. Aust.-Kat. BHA Berlin 1984, Kat.-Nr. 322.) überarbeitet von Bayer, von Buch 6 einen Doesburg-Entwurf, überarbeitet von der Druckerei, (Kat.-Nr. 158, A+O) von Buch 4 einen Schlemmer-Entwurf, von ihm selbst mehrfach überarbeitet. (Kat.-Nr. 154, A+O) und von Buch 3 ein Foto, das Moholy unentbehrlich fand (Kat.-Nr. 148, A+O) Den Rest besorgte Moholy selbst. Erst im letzten Moment, bevor die ersten 8 Bücher erschienen, machte man wenigstens eine Ausgabe äußerlich als Reihe kenntlich. Neben die bunte, broschierte Reihe wurde eine einheitlich leuchtend gelbe gesetzt - in Leinenbindung mit geprägtem Serientitel und dem Schnitt oben in Rot, dazu Spiegel und Vorsatzpapier in Schwarz.

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Tempo:

Ein Titel, der nicht zu fassen war.

Einen "Einbruch der Plakatauffassung ins Buchwesen" konstatierte 1926 ein Verleger, als er "konstruktivistische" Buchumschläge wie die der Bauhausbücher analysierte. (Julius Zeitler: Historizismus und Konstruktivismus im Buchgewerbe. In: Archiv für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik, 63. Jg. 1926, S. 103.) Reklame war damals tatsächlich unter den Künstler-Typografen Vorbild und Ziel zugleich, jedenfalls untrennbar miteinander verbunden. So tauchte diese Themenkombination auch als Projekt unter den Bauhausbüchern auf. Der Band erschien jedoch nicht. Es hatte 1923 mit Moholys Idee begonnen, "Neue Reklame und Typographie" im Zusammenhang mit Film zu behandeln - dies Stichwort indes wanderte in sein Buch 8 ab. Als prädestinierter Autor galt zunächst El Lissitzky, der Star unter den Neuen Typografen. Dann aber kam 1925 der Typograf Jan Tschichold, der sich seit einem Jahr um die Vermittlung konstruktivistischer Ideen in die typografische Fachwelt bemüht hatte, und veröffentlichte den ersten internationalen Überblick über das Thema. (Sonderheft "Elementare Typographie" der Typographischen Mitteilungen, 1925, H. 10, herausgegeben von Jan Tschichold) Inzwischen aber fühlte sich das Bauhaus selbst fit, so ein Buch mit eigenen Arbeiten zu füllen. Hatte man doch nach gut zwei Jahren eigener Praxis endlich eine eigene Druckerei- und Reklameabteilung, sollte nun auch "Reklame und Typografie des Bauhauses" publiziert werden. El Lissitzkys Unkenrufen zum Trotz, das Bauhaus habe "mit seinen Verlagsankündigungen nur eine Reklame ohne Folgen gemacht" (El Lissitzky an Adolf Behne, 1.3.1925), war das Buch noch im Juli 1927 (bauhaus, 2. Jg. 1927 H. 3.) in Arbeit, um wenig später aus dem Buchprogramm zu verschwinden. Das Werbeblatt "Bauhaus Bücher" vom November 1927 führt den Titel nicht. Was war passiert?

 

Hinterlegen wir die dürren Titel aus den Konzepten mit etwas Bauhauspraxis, um das zu erklären. 1925 stellte sich eine brisante Verbindung dreier Themen aus dem 30-Punkte-Programm ein. "Reklame und Typographie" wurde mit "Organisation" und "Weltsprache" verknüpft. Die beiden letzteren hatten jene Visionäre zur Einheit erklärt, die Wissen und Sprache für künstlich reorganisierbar und dann für normierbar hielten. Moholy selbst hatte z. B. ein Mitglied des Komitees zur Entwicklung der Welthilfssprache IDO (den dänischen Linguisten Jens Otto Harry Jespersen) ins Konzept gesetzt, und 1923 wäre ein Beitrag zur "konstruktiven Philologie" daraus geworden. 1925 aber erreichte das Bauhaus eine spezielle Variante dieser Ideen, die plötzlich auch eine Verbindung zu "Reklame und Typografie" herstellte. Es waren die Visionen Wilhelm Ostwalds, die u.a. zur Gründung des Deutschen Normenauschusses geführt hatten. Dessen Apologet, Walter Porstmann, propagierte nicht nur die Rationalisierung der Papierformate nach dem Muster "ein Zweck - ein Format". Er blieb auch nicht stehen bei der Ökonomisierung der Büroarbeit durch standardisierte Einteilung der Briefköpfe und Formulare. Sein Thema war Kommunikation an sich. Auch Sprache sollte Gegenstand der Vereinheitlichung und Vereinfachung sein. Ökonomisierung der Orthografie und Schrift lagen auf diesem Wege. Darunter die Devise "ein Laut - ein Zeichen", unter anderm also Kleinschreibung. (vgl. zum Verhältnis der Porstmann-Ideen zu denen Wilhelm Ostwalds: Markus Krajewski; Kommentar zum Brief Walter Porstmanns an Wilhelm Ostwald (1920). In: Andreas Bernhard/Ulrich Raulff (Hg.): Briefe aus dem 20. Jahrhundert. Frankfurt/M. 2005, S. 59ff.)

 

Im Juli 1925 zündeten diese Ideen am Bauhaus wie eine Bombe. Versuche zu neuer Einheitsschrift starteten. Die Geschäftspapiere der Schule - all das ist lange bekannt - erschienen ohne Großbuchstaben unter Protesten der Öffentlichkeit, doch Meister und Schüler behielten sie ein Leben lang bei. Auf Betreiben Herbert Bayers  (Herbert Bayer an Hans Maria Wingler, 9.3.1963: "I persuaded Gropius to introduce a system of writing in lower case only at the Bauhaus." Dokumente Herbert Bayer, BHA Berlin.) hat Gropius zugestimmt - aber offenbar nicht ohne Zähneknirschen. (Die Ausmerzung der Großbuchstaben sei von "extremen Normungsfreunden" ausgegangen, so Gropius in einem Vortrag, über den die Papierzeitung am 10.7.1926 berichtete. Er habe dort den "Kampf gegen Großbuchstaben" auch als "Steckenpferd der Schüler" bezeichnet.) Seine Einwände werden ähnlich geendet haben wie bei Dissenzen zwischen Moholy und ihm: "Ich möchte mich aber in Ihre typografischen Absichten nicht einmischen, sonst geht die Einheit verloren." (W. Gropius an L. Moholy-Nagy am 14.08.1925 [Kritik am Satz in Bauhausbuch 4], Korrespondenz zur Herstellung der Bauhausbücher, Nachlass Walter Gropius, BHA [im Folgenden zititert als "Korrespondenz")

 

1927 hätte das Bauhausbuch "Reklame und Typografie" von der DIN-Euphorie gehandelt. Die Bauhausdruckerei hatte zumindest bis dahin kaum anderes produziert. (Im Jahr 2002 waren 55 chronologisch numerierte Bauhausdrucke im BHA vorhanden. Die Nummern reichen bis 178, d. h. bis Februar 1927.) Und die Schriftversuche, kaum waren sie in Fachorganen der Setzer und Drucker publiziert, blieben stecken. Bayer jedenfalls beschickte in diesem Jahr die internationale Ausstellung "Graphische Werbekunst" in Mannheim mit 37 Geschäftsdrucksachen nach DIN. ("Anmeldung zur Ausstellung der städtischen Kunsthalle Mannheim: Herbert Bayer", eingegangen am 27.05.1927. Kunsthalle Mannheim.) Als der Titel "Typografie" 1928 in der Bauhauszeitschrift auftauchte, wechselte der inhaltliche Schwerpunkt, und Bayer schrieb über Werbelehre, sein Kollege Schmidt, mit dem er neuerdings die Abteilungsleitung teilte, über phonetische Schrift. ("Anmeldung zur Ausstellung der städtischen Kunsthalle Mannheim: Herbert Bayer", eingegangen am 27.05.1927. Kunsthalle Mannheim.) Als Bayer den Umschlagentwurf für dieses 11. Bauhausbuch veröffentlichte, erschien er allerdings unter der Überschrift "Werbefoto" (h. bayer: typografie und werbsachengestaltung. In: bauhaus, Jg. 3 1928, H. 1. J. Schmidt: schrift? In: bauhaus, Jg. 3 1928, H. 2/3.). Einen Titel hatte "Das Elfte" dort charakteristischerweise nicht.

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Der Monteur des Druckmodells

Genau wie die Themen sich binnen zweier Jahre veränderten, wandelten sich auch die Interessen des verantwortlichen Gestalters Moholy im Laufe von 7 Jahren, über die sich die Arbeit hinzog. Die Uneinheitlichkeit selbst in den Teilen der Ausstattung, die Moholy allein machte, illustriert nicht nur technische Schwierigkeiten wie Mangel an Satzmaterial, Zeit, Erfahrung. Sie zeigt vor allem ein Ideenfeuerwerk. Das Interesse, sie zu einer visuell überzeugenden Gesamtform zu bringen, kam erst bei den zwei letzten Büchern. Moholys gestaltende Tätigkeit an den Bauhausbüchern war absolut ungewöhnlich. Mit seiner Auswahl von Schrifttypen, mit der Bestimmung von Klischee- und Schriftgrößen, mit eigenen Umbruchvorlagen und Coverentwürfen drängte er sich ungebeten in die Domäne des Setzers und Druckers. Er definierte auf seine Weise eine Schnittstelle zwischen Kunst und Technik, wo künstlerisches Denken bis ins Druckverfahren reichte. Es entstand geradezu ein Modellfall für die künftigen Berufe "Grafikdesigner" und "Layouter". Und Moholy wurde sich dessen im Laufe dieser Arbeit bewußt. 1930 schrieb er: "Das wesentliche des typografischen Fortschritts ist nicht eine formale, sondern eine organisatorische Errungenschaft. Die heutige Typografie ist keine Setzarbeit mehr, sie ist zu einer Drucktechnik geworden, in der die Montage als ‚Modellarbeit' mit anderen Mitteln als das Setzen außerhalb des Druckbetriebes durchgeführt werden kann. ... anstelle des Setzers tritt der ‚Monteur des Druckmodells'..." (Selbstdarstellung in: Heinz und Bodo Rasch: Gefesselter Blick. Stuttgart 1930, S. 69.)

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Schaukultur

Buch 4 über die Bauhausbühne illustriert auf eindrucksvolle Weise Material und Methode, aus denen Moholy für jene "Modellarbeit" an den Bauhausbüchern schöpfte. Es lässt ahnen, daß beispielsweise Schrifttypen in Moholys Vorstellungen ein Material wie jedes andere waren. Schlemmers Cover macht gleich darauf aufmerksam - es zeigt zwei Protagonisten, eine seiner Figurinen und die überdimensionale Seriennummer. Moholy steuerte eine "Partitur" zu dem Buch bei. Sie entfaltet sich wie eine bunte Harmonika zur vierfachen Breite des Seitenformats. Die kühl wirkende Schemakonstruktion notiert donnernden Aufruhr. Hier erhalten neben dem Ton auch Form, Bewegung, farbiges Licht und Geruch eine Rolle. Die Darsteller sind auf 3 Bühnen und einer Projektionsleinwand in gefährlicher Balance übereinander zu imaginieren. Umgesetzt zum Simultanerlebnis hätte das Spektakel die Sinne eines Zuschauers überfordert. Mensch und Szenerie aber, Mögliches wie Unmögliches - das macht die "Partitur" deutlich - waren gleichermaßen Stoff der Gestaltung für einen Choreographen wie Moholy.

 

Er sah sich als Spezialist fürs Training der fünf Sinne - sei es als Pädagoge, sei es als Künstler. Seine Methode, den Menschen zu produktiver Gestaltung anzuleiten, beschrieb er so: Man solle inmitten von Kunstwerken leben, ihre Wirkung aufnehmen, ihre Bedeutung aber vergessen. Es komme darauf an, "...den historischen Bild- usw. Funktionsbegriff zu zertrümmern, um zu seinen Formen der Gestaltung zu gelangen." Er riet zum "Erwerben einer richtigen Schau-Kultur, ohne den krampfhaften Vorsatz, sie erobern zu wollen." (L. Moholy-Nagy: Kunstbetrachtung - Weltbetrachtung. In: Offset-, Buch- und Werbekunst 1925, H. 6, S. 348.) Für die Würdigung von Moholys Anteil an den Bauhausbüchern geradezu ein Rezept.

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Typografie

Entsprechend war der Bauhausmeister unter anderem ein Buchkünstler mit Spezialgebiet "Film, Theater, Varieté, Zirkus". (So ließ sich Moholy in Albacharys "Führer durch das Plakatwesen" 1928 registrieren .) 1923-1925, während der typografischen Gestaltung der Bücher für das Bauhaus hatte er in der Begeisterung über das neue Material seine drei Manifeste über "Neue Typografie" geschrieben. Die beiden weniger fachspezifischen sind in den Bauhauspublikationen zu lesen. (Die Neue Typographie. In: Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923. Weimar-München 1923. Zeitgemäße Typografie. Ziele Praxis, Kritik. In: Gutenberg-Festschrift. Mainz 1925 und verändert in: Offset, Buch- und Werbekunst 1926, H. 7. Typofoto. In: Malerei, Photographie, Film. Bauhausbuch 8, München 1925. "Typofoto" war vorab veröffentlicht in: Typographische Mitteilungen 1925, H. 10. Sonderheft Elementare Typographie, hrsg. Jan Tschichold'.) In diesen Texten wie auch in der Typografie selbst durchdringen sich verschiedene Anliegen: einerseits das künstlerische Bekenntnis zu gesteigertem Ausdruck und die Visionen von zukünftigen Kommunikationsmedien. Andererseits exakte Beobachtung der visuellen Wirkung typografischer Elemente und Überlegungen zu möglichen Funktionen der Typografie. Diese Synthese wirkte in der typografischen Fachwelt so, wie die Bauhausbücher ursprünglich gedacht waren: Moholy lieferte den anvisierten "Vergleichsmaßstab" und beeinflusste mit seiner Arbeitsweise jahrzehntelang nicht nur Typografen, sondern auch Gestalter auf anderen Gebieten.

 

Der Künstler selbst hingegen nahm seine Erfahrungen aus der "fast armseligen" typografischen Praxis, in der er nicht einmal "eine Werkschrift in der richtigen Größe, äußerst klar lesbar, ...ohne Verzerrungen und Schnörkel" für die Bauhausbücher vorfand, nicht zum Anlaß, etwas zu ändern. In einer langen, ernsthaften Debatte mit dem Chef der Bauerschen Schriftgießerei, K. F. Bauer, zum Thema "Die Zukunft unserer Schrift" verteidigte er Bayers Versuch zu einer Einheitsschrift. "...das Problem der zukünftigen Typographie [ist] nicht eine Verbesserung der gestrigen Schriftform..., das wird sowieso nebenbei erledigt, sondern die Anpassung der Satz- und Druckmethoden an die Fortschritte der Technik." (L. Moholy-Nagy: Die Zukunft der Schrift. In: Klimschs Druckereianzeiger 1927, Nr. 66, S. 1538.)

 

Nur ein Beispiel: Moholys Träume von alternativen Druckverfahren, die per Röntgenstrahlen oder Fotografie funktionieren sollten, hinterließen an allen Umschlägen der Bauhausbücher, die er entwarf, ihre Spuren. Er importierte Anregungen aus seinen eigenen technischen Möglichkeiten in die Titelzeilen. Seit 1924, als die Cover zu Buch 2, 5, 7 entstanden, waren es beispielsweise Foto und Fotogramm. Das Positiv-Negativ-Spiel mit Lettern hat dort seinen Ursprung. Die negativen Buchstaben, die die Farbflächen perforieren, mussten teils in einem Extra-Arbeitsgang gezeichnet werden, weil kein passendes Satzmaterial vorhanden war. Für ein Modell dieser Idee nahm er sogar ungefüge Lettern in Kauf. Bei Buch 10 wird "Licht" nicht etwa durch den abgebildeten Filmstreifen projiziert, sondern durch die Titelschrift. Das Licht "durchdringt" den gesamten Buchkörper und hinterlässt auf der Rückseite Spiegelschrift. Derart "Benutzer-Unfreundliches" verschwindet später, so 1929 in der 2. Auflage von Buch 10. Es taucht aber auch durchaus wieder auf - in Gestalt von fünfmaliger Repetition des Wortes "Bauhausbücher" ohne Zeilendurchschuss, das den Titel "Kubismus" mit flimmernder Reklame hinterlegt.

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Malerei, Fotografie, Film

Besondere Probleme hatten Neue Typografen wie Moholy mit der "typografischen Starre". Buchdruck legte den Gestalter eben auf ein orthogonales Raster fest, oder der Satz verursachte enorme Kosten. Außerdem kostete jedes Bild, das gesetzte Schrift tragen sollte, einen zweiten Druckvorgang - es sei denn, das Bild enthielt bereits die Schrift. "Typofotos" wie das Fotogramm "Broom" oder die Anzeige aus "Vanity Fair", die in Band 8 abgebildet sind, bieten eine solche Lösung. Für das Cover zu diesem Buch nahm er den Überdruck des Bildes in Kauf, suchte aber nach einer Möglichkeit, die Beschriftung dem Bildraum zu integrieren. Dazu bat er den Drucker um folgende Probedrucke: zinnoberrote Schrift auf schwarzem Fotogramm und ultramarinblaue Schrift auf braunem Fotogramm. Das Ergebnis: die Schrift bildete noch immer eine separate Schicht. Daraufhin ließ er die Zeilenfarben ändern: Die Worte "Malerei" und "Film" sollten weiß werden, der Rest der Schrift rot bleiben. "Bei diesem Probeabzug aber sehe ich, daß dadurch die zwei Wörter viel stärker hervorspringen, als ich es beabsichtigt habe." (Kat.-Nr. 162, A+O.) So ordnete er zum Schluß das vorspringende Weiß den anderen beiden Wörtern zu, die - ohnehin von vielen Spatien perforiert - optisch ein gebrochenes Weiß erzeugen, das weit weniger hervorspringt. Alle Zeilen verlassen so ihre separaten Layer. Die Wörter, nun ihrer gemeinsamen Grundfläche beraubt, werden zum Teil eines komplett künstlichen Raumes, der sich im Fotogramm fortsetzt. Mein Versuch einer Veranschaulichung dieser Farbexperimente findet sich in: Patrick Rössler (Hg.): Bauhauskommunikation, Berlin 2009, Tf. XVI-XV.

 

Diese Arbeit an der "Wirksamkeit optischer Relationen" vollzog sich abseits typografischer Funktionen in einer Welt aus Licht, Farbe und Raum. Anwendung und Erprobung der gewonnenen Erkenntnisse im typografischen Bereich jedoch überließ Moholy anderen. Ihre Notwendigkeit registrierte er zwar genau, Mängel aber nahm er nicht in Angriff. Jan Tschichold mag von dieser Entwicklung enttäuscht gewesen sein. Auf jeden Fall kündigte er die Subscription der Bauhausbücher noch vor ihrem Erscheinen. (vgl. J. Tschichold, Postkarte an das Bauhaus, 04.11.1925, Korrespondenz, BHA)

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Funktional?

Gropius und Moholy machten je ein zweites eigenes Buch, das erst erschien, als die Autoren das Bauhaus schon verlassen hatten. So wurden aus den kleinen Schriften umfangreiche Retrospektiven auf das, was sie am Bauhaus gelehrt und gelernt hatten. Gropius´ Buch "bauhausbauten dessau", zeigt innen wie außen, wie weit sich der Architekt und sein Grafiker Moholy von den einst anvisierten "Spezialfragen der Technik" und "Organisation" entfernt hatten. Die fließbandartige Montage von Fertigteilen vor Ort etwa, die Gropius 1926 bei der Ankündigung des Buches besonders betont hatte, erhielt im Buche nicht mehr dieselbe Rolle. Der Umschlag deutet zwar die Baukonstruktion der Törtener Siedlungshäuser an - mittels Prinzipien, die einst das geplante Bauhausbuch "Neue Architekturdarstellung" separat hätte vorstellen sollen. Doch die Reduktion der Siedlung auf eine einzelne Bauzeile ist eher dazu da, dem schönen pergamentartigen Umschlagmaterial Raum zur Wirkung zu geben.

 

Auch innen verzichtete man auf das Thema "Rationalisierung". Denn Gropius suchte nach einer Darstellungsform für die Bauten, die nicht wie ein Foto Gefahr lief, "das Erlebnis des Raumes nicht wiederzugeben". "Ich glaubte", heißt es einleitend, "... die Ordnung der sich in ihnen abspielenden Lebensfunktionen ... nur dadurch wiedergeben zu können, daß ich den Leser nacheinander an zahlreichen Bildausschnitten vorüberführe, um ihm durch diesen Wechsel der Sichten die Illusion des gedachten räumlichen Ablaufs zu vermitteln." (W. Gropius, Bauhausbauten Dessau, Vorwort, S. 11.) Folgerichtig war das überzeugender in einem Film über die Architektur geschehen, nicht in diesem Buche.

 

Wie die Buchillustration hingegen vorging, mag an demjenigen Raum in Gropius' Meisterhaus beschrieben werden, der sein Entstehen gerade den damals neuen Rationalisierungsideen verdankt hatte - die "Anrichte". Als wichtige Pufferzone zwischen Leben und Lebens-erleichternder Technik stellt sie das Buch nicht dar. Der merkwürdige Raum ist ja nicht nur fortschrittliche Spülküche, wie Film und Filmstills im Buch behaupten. Sondern er ist mit seinen sechs Türen und zwei Durchreichen auch Durchgangsstation auf einer Schleife, die eigens für die Hausfrau, die ständig zwischen Vorratskeller, Küche, Esstisch und Spüle pendelt, rationalisiert wurde. vgl. Grundriss

Architekt und Grafiker jedoch zeigen in Buch 12 nur die Oberflächen der Architektur.

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Synthetische Grafik

Auch Buch 14, Moholys Zusammenfassung seiner eigenen Bauhaustätigkeit, "von material zu architektur" behandelt das Thema "Oberfläche". Schon Adolf Meyer wollte 1924/25 ein Bauhausbuch mit  dem Titel "Die neuen Materialien" machen, was im Jahr darauf zu "Die neuen künstlerischen Materialien" ohne Angabe eines Autors wurde. Moholy nun erfand im Laufe mehrerer Jahre ein System, das die Bauhausentdeckungen zum Finden und Verändern der Materialien erfaßte. Sein Buch präsentiert die Methoden und Effekte als lange, differenzierte Skala. Sie formen eine Abfolge von "massiv" bis zu "transparent". Am Ende steht kein Material mehr, sondern "Bewegung". Ein Material für Architektur?

 

Durchaus. Angewandt auf das grafische Gebäude auf dem Buchumschlag, entsteht etwas, das weder zwei- noch dreidimensional ist. Das Auge wird zwischen widersprüchlichen Eindrücken hin- und hergeschickt. Und der Verstand kreist um die Frage: Wie ist das gemacht?

 

Dieses überzeugende Typofoto spricht von visueller und geistiger Beweglichkeit in guter Proportion. Eine der Forderungen Moholys, was ein Typofoto filmähnlich ineinanderblenden sollte, scheint mir heute für den Entwurfsprozess im Grafikdesign ebenso wichtig wie damals. Vier Dinge sollten simultan arbeiten: die Form eines Dinges, die Assoziationen zu dem Eindruck, die Bedeutung einer Form oder eines Wortes und der total künstliche Charakter des Resultats. In Moholys Sprache sind das nur zwei Worte: "visuell-assoziativ-begrifflich-synthetische Kontinuität" vgl. Anmerkung Laszlo Moholy-Nagy: Typofoto, in: Typographische Mitteilungen 1925, H. 10.

 

© Ute Brüning

Vortrag für Goethe-Institut / Forening for Boghaandværk, Kopenhagen, 2002/ 2018

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