Adobe: Hidden Treasures

Eine Schatzsuche

Bei der Stiftung Bauhaus Dessau sind jüngst fünf „verloren geglaubte Bauhaus-Schriften“ wiederentdeckt worden. Das zumindest suggeriert der Software-Hersteller Adobe in seinem Projekt „Hidden Treasures“. Waren sie doch für den Grafiker bereits verfügbar über das „typekit“, einem Abonnement-Service für Schriftarten, die man auf seinem Computer synchronisieren oder auf einer Website verwenden kann. Fake News also?

Oder soll man es den Marketing-Experten zum 100. Geburtstag des Bauhauses schon mal nachsehen, wenn auch sie Zuflucht zum Dokudrama nehmen? „Nur 14 Jahre nach ihrer Gründung wurde die legendäre Bauhaus Hochschule für Gestaltung vom Nazi-Regime geschlossen. Viele Schätze und unvollendete Werke wurden zurückgelassen und gerieten in Vergessenheit…“ So tönt das PR-Video. Die Schriften seien restauriert worden oder auch rekreiert oder für Sie neu erstellt“. Ein weiteres Video, weiter unten auf der Website, sagt dann rekonstruiert“ – was denn nun?

Der Film vermittelt eine Vorstellung vom Prozedere:

„Unter der Leitung von Erik Spiekermann, einem der renommiertesten Typografen, wurden Buchstabenfragmente und Skizzen zu voll funktionsfähigen, digitalen Schriften rekonstruiert. Gemeinsam mit Experten der Stiftung Bauhaus Dessau leitete er die Arbeiten eines Teams aus Typografieprofis und jungen Schriftgestaltern von fünf Hochschulen verschiedener Länder.“

Die Stiftung Bauhaus Dessau hofft, auf diese Weise werde die verloren gegangene Gestaltungsgeschichte“ „digital wiederbelebt“.

Adobe Typekit: Bauhaus-Familie. Screenshot 26.8.2018
Adobe Typekit: Bauhaus-Familie. Screenshot 26.8.2018

Geheimnisvolle Originale

Es handelt sich offenbar um eine Art Weiterverarbeitung – welcher Art, ist offen. „Die Vorgaben“ an die Studenten, so Erik Spiekermann, „waren keine ausgestalteten Schriften, sondern Skizzen bzw. Übungen.“ Welche Originale nun aber wiederentdeckt und zu der Schriftfamilie verwandelt worden sind, deren Mitglieder Joschmi heißen, Xants, CarlMarx, Alfarn und Reross, wird nicht genau gesagt. Freilich blitzen eine Menge alter Schriftblätter in Adobes PR-Videos auf. Und natürlich zeigt die Website der Stiftung Bauhaus Dessau auch Abbildungen davon. Doch ihren Urhebern werden sie nicht zugeordnet. Und welche Neuschrift nun aus welchen Originalen oder Fragmenten entwickelt wurde, ist scheinbar auch nicht wissenswert. Doch halt, es gibt je zwei Peepholes, durch die wir auf je einen Bauhäusler und sein Bauhaus-Schriftblatt gucken dürfen - das ist jedoch alles, was Adobe uns an Originalen offenbart.

Peepholes. Screenshot von adobehiddentreasures.com/de/, 22.8.2018
Peepholes. Screenshot von adobehiddentreasures.com/de/, 22.8.2018

Aber lässt sich denn ohne den Vergleich mit den historischen „Vorlagen“ eigentlich ermessen, was die Schriftdesigner in diesem Projekt leisten? Als in den 1990er Jahren die ersten solcher, dem Bauhaus nachempfundenen oder von ihm inspirierten digitalen Schriften herauskamen, fand man  diesen Vergleich mit dem Original auch nicht immer wichtig. David Quay und Freda Sack lieferten, als sie sich 1993 um Herbert Bayers „Versuch einer neuen Schrift“ bemühten, schon damals nicht Bayers Erstpublikation von 1926 mit. Anders  dagegen verfuhren Denis Kegler 1997 und Arne Freytag (2005), die sich um ähnliche Wiederbelebungen bemühten. Heute scheint dieser Gedanke obsolet, denn die Marke genügt schon: „Bauhaus – wenns gut sein muss.“ Mehr muss der Verbraucher nicht wissen.

Drei bis fünf „legendäre Meister“

Ganz so leer jedoch soll der Käufer gar nicht ausgehen. Er darf mit den Schriften die Namen von fünf „legendären Bauhausmeistern“ mitnehmen: (Diese Adobe-Formulierung gefällt der Fachpresse offensichtlich, z.B. macwelt, page-online, slanted, und so multipliziert sich der Nonsense unbesehen.)

Joost Schmidt, Xanti Schawinsky, Carl Marx, Alfred Arndt und Reinhold Rossig sind als Urheber der Originalblätter genannt.

Auf Recherchen zur Bedeutung der Funde hat man in diesem Projekt verzichtet. Es war dem Designgiganten genug, die „Meister“ mit Kurzbiografien auszustatten, wo manches  zu radieren wäre.

Es war nur einer Meister

von den fünf „legendären Meistern“ des Bauhauses, nämlich Joost Schmidt. Er unterrichtete nicht „Kalligrafie“ und leitete auch nicht die "Werkstatt für Reklame, Typografie und Druckerei".Unter Joost Schmidts Leitung verschwand der Bestandteil „Typografie“, der für Herbert Bayers Arbeit charakteristisch gewesen war, aus Namen und Programm der Abteilung, denn er machte eine werbegrafische Abteilung daraus. Vgl. Ute Brüning, Joost Schmidt: Bildstatistik und Reklame, demnächst in: Philipp Oswalt (Hg.), Hannes Meyer als Pädagoge. Bauwelt Fundamente. Drei der fünf legendären Gestalten studierten noch zur Entstehungszeit der Schriftblätter: so Alfred Arndt 1922/23, als er die Konsum-Plakate malte, die man im Video aufscheinen sieht. Das trifft auch auf Reinhold Rossig im Jahr 1929 zu und auf Carl Marx im Jahr 1932. Und Xanti Schawinsky war 1932, wenn das Datum für sein Alphabet stimmt, was noch niemand nachgeprüft hat, noch nicht in Italien, sondern Freelancer in Berlin und Zürich…

Aus fünf Gestaltern werden drei.

Denn Carl Marx – und das ist dankenswerter Weise im Adobe-Typekit vermerkt – sowie Reinhold Rossig waren Joost Schmidts Schüler im Schrift-Vorkurs, den der Bauhaus-Studienplan für alle vorschrieb. Dort wurde ein strammes Programm geboten, das allen Bauhäuslern ein professionell aussehendes, stilrein-zeitloses manuelles Beschriften ermöglichen sollte. Schmidt hatte den Kurs über etwa fünf Jahre hinweg ständig aufs Sorgfältigste weiterentwickelt und didaktisch aufbereitet. Man arbeitete an vorgeschriebenen Formen in vorgeschriebenen Maßen und Proportionen, mit festgelegten Werkzeugen. Man kann Schriftblätter derselben Formtypen und Ausführungen von verschiedenen Schülern finden. Noch warten derartige Behauptungen auf den umfassenden Nachweis. Ich selbst arbeite daran, und sicher manche/r andere. Doch so viel kann man bereits sagen, dass Carl Marx und Reinhold Rossig nicht als Schrifterfinder gefeiert werden müssen, sondern nur Joost Schmidt.

Bereits der Versuch einer Einordnung dieser Blätter aus Dessau

hätte die Sicherheit gebracht, dass Schmidts Schriftunterricht im Vorkurs alles andere als „künstlerisch-experimentell“ war, wie die Dessauer Website schreibt. Individuellen Kreationen, die die Nennung weiterer Schriftschöpfer gerechtfertigt hätten, gab Joost Schmidt in seinem Vorkurs „Schrift“ wenig Raum. Individuelles entstand außerhalb des Unterrichts, so Kurt Kranz, der Schmidts Programm langweilig fand. Anm.Ute Brüning: Unterricht Joost Schmidt. Vorkurs ‚Schrift und Reklame‘ in: Das A und O des Bauhauses. Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv Berlin 1995 u.a., S. 202.

Alles andere als abgeschlossen

ist die Forschung über „Schrift am Bauhaus“. Einblicke, wie der von Hans-Peter Willberg von 1969, als er unter diesem Titel vor allem Joost Schmidts Entwürfe, darunter auch eine (weitere) Schablonenschrift, publizierte, s. Anm., Ungedruckte Illustrationen von Willi Baumeister. 20 Abbildungen. Mit einer Einführung von Heinz Spielmann. Schrift im Bauhaus / Die Futura von Paul Renner. 18 Abbildungen. Mit einer Einführung von Hans Peter Willberg. Neu-Isenburg 1969. oder auch meine eigenen Ansätze von 1995 s. Anm. Ute Brüning: Unterricht Joost Schmidt. Vorkurs ‚Schrift und Reklame‘ in: Das A und O des Bauhauses. Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv Berlin 1995 u.a. oder 2009, s. Anm., Ute Brüning: Unterricht Joost Schmidt. Vorkurs ‚Schrift und Reklame‘ in: Das A und O des Bauhauses. Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv Berlin 1995 u.a., S. 202. oder Ute Brüning: Joost Schmidt - ein Curriculum für Werbegrafiker, in: Patrick Rössler (Hg.), Bauhaus-Kommunikation. Berlin 2009. sind zwar überholt. Aber sie hätten zumindest dafür gereicht, Fehlinterpretationen wie diese zu vermeiden: „Weg mit Schnörkeln und Details wie Serifen!“ oder „Typografie vom Bauhaus Dessau ist unverwechselbar. Schnörkellos. Intensive ausdrucksstarke Farben…“ Für die Typografien vom Bauhaus zwischen ca 1929 und 1932, die den Gestaltern des Adobe-Projekts ja scheinbar zur Weiterverarbeitung dienten, reichen diese Charakteristika aus ihrer Anfangsphase längst nicht mehr aus. vgl. Anm. Joost Schmidt und Schawinsky entwarfen längst Serifenschriften, und eine differenziertere Farbskala war im Gebrauch, vgl. auch Robin Kinross: Das Bauhaus im Kontext der Neuen Typografie, in: Ute Brüning (Hg.): Das A und O des Bauhauses, a.a.O., S. 9ff Einer der Studenten hat deutlich gespürt, dass dem Projekt Grundlagenforschung fehlt: „Eine Schrift auf Basis einer einzigen Skizze zu erstellen“, sagt Hidetaka Yamasaki im Video, „ist schwierig, denn man erkennt kaum, welches Ziel der Künstler verfolgt hat.“ Erik Spiekermann räumt ein:

"Wir stellen ein Projekt fertig, dessen ursprüngliches Ziel wir nicht kennen." - ??

Das Adobe-Projekt ist auf langfristige, große Wirksamkeit angelegt. Die Schriften werden demnächst einer gründlichen Qualitätskontrolle unterzogen, indem sie in fünf weltweit ausgeschriebenen Wettbewerben verwendet werden. Für eine ungewöhnlich breite Öffentlichkeit hätte also die Zusammenarbeit mit der Stiftung Bauhaus Dessau und weiteren Fachleuten nützlich werden können, indem die Experten spannende historische Infos zu den Typografien geliefert bzw. ganz neue erarbeitet hätten. Den Designern wäre  damit eine trittfeste historische Basis für ihre Entwürfe gegeben worden. Vorbei. Ist somit die Arbeit der Schriftdesigner hier “empty formal play“? (Ein Urteil von Robin Kinross, eines gründlichen Kenners der Bauhaus-Typografie, das sich schon 1993 auf Wiedererschaffungen, Remakes, Redesigns von u.a. Bauhaus-Schriften bezog.)

Eine leere Hülle am Leben erhalten?

Die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Claudia Perren, sagt, Hidden Treasures sei eines der Projekte, „mit denen wir das Bauhaus-Erbe am Leben erhalten möchten. Doch, allein gelassen mit Joschmi & Co, ohne Joost Schmidt & Co dazu gehört und verstanden zu haben, muss man befürchten, dass die Schätze für weite Teile der Öffentlichkeit hinter der legendären Hülle „Bauhaus“ im Verborgenen bleiben.

 

Ergänzend zum Thema lesen:

Interview mit Erik Spiekermann in der FAZ:

„Bauhaus-Schriften haben den Klang deutscher Ingenieurskunst“

 

Erik Spiekermann kommentiert, 23.12.2019

Sie schreiben: »Waren sie doch für den Grafiker bereits verfügbar über das „typekit“, einem Abonnement-Service für Schriftarten, die man auf seinem Computer synchronisieren oder auf einer Website verwenden kann. Fake News also?« Abgesehen von dem hier wenig angemessenen Bezug auf diesen diffamierenden Ausdruck zeigen Sie damit vor allem, dass Sie nicht vertraut sind mit der digitalen Welt. Typekit ist Adobes Lieferservice für digitale Schriften. Nachdem die neuen Entwürfe nach Qualitätskontrolle durch uns und durch Adobe als saubere Daten vorlagen, wurden sie auf Typekit veröffentlich und für den kostenlosen Download angeboten. Also nix Fake. Unsere Aufgabe (Ferdinand Ulrich und ich haben das Projekt betreut) war es, aus dem Archiv in Dessau Skizzen zu holen, die taugten, zu brauchbaren Schriften vervollständigt zu werden. Dazu habe ich Studenten aus einschlägigen Schulen eingeladen und deren Arbeit begleitet (alles übrigens innerhalb von 6 Wochen, was nur gelang, weil ich überall Kollegen habe, deren Mithilfe ich einfordern konnte). Das theoretische Umfeld haben die Kolleginnen in Dessau geliefert und Adobes PR-Leute haben das alles zusammengerührt zu einem halbhistorischen Brei, den wir auch nicht besonders gut fanden. Aber Adobe ist Softwarehersteller und kein akademisches Institut. Das habe ich vorher gewusst und meine Erwartungen an die historische Treue und inhaltliche Tiefe waren entsprechend gering. Aber immerhin wurden 6 Studenten aus vielen Ländern sehr ordentlich bezahlt und konnten ihre Arbeit international vorstellen. Ich war nur Kurator und technischer Berater, denn einige Schriften habe ich ja selbst entworfen und für Adobe etliche Publikationen verfasst und bearbeitet. Auch die Interviewer – selbst in deutschen Publikationen – haben falsch zitiert und oft, was besonders peinlich ist, mich als Urheber der Schriften genannt. Auch wenn Sie im akademischen Sinne recht haben, das Projekt als oberflächlich abzutun, war es aber kein akademisches Unterfangen, sondern eine praktische Arbeit, die dazu diente, Adobe gut aussehen zu lassen im Bauhaus Jahr, mir und meinen Mitarbeitern Gelegenheit bot, im Archiv in Dessau die Originale anzufassen und den Studenten eine praktische, gut bezahlte Arbeit ermöglichte. Weltweit wurden so mehr Menschen mit dem typografischen Erbe des Bauhaus bekannt gemacht, als alle unsere Artikel in den Fachzeitschriften und -büchern je erreichen werden. Um den Preis der Oberflächlichkeit gewiss, aber viele sogenannte Fachbücher sind da auch nicht viel besser. Wir sind jedenfall stolz auf das Projekt, auch wenn wir gelegentlich nicht fassen konnten, welcher Blödsinn von PR-Agenturen und nichtsahnenden Journalisten verzapft wurde. Aber damit muss man bekanntlich leben, wenn man in der Öffentlichkeit arbeitet.

 

Ute Brüning, 28.12.19:

Danke für Ihren Kommentar! Die „Fake News“ bezogen sich nur auf die widersinnige Zeitenfolge in der Adobe-Darstellung. Und Sie haben Recht, mit der digitalen Herstellung von Schriften bin ich wahrhaftig nicht vertraut. Nur mit den historischen Aspekten des Projekts. In dem Wissen, dass die Schriftübungen vom Bauhaus bzw. von Schawinsky hier falsch eingetütet worden sind, kann ich mich einfach nicht darüber freuen, dieses "typografische Bauhauserbe“ weiter denn je verbreitet zu sehen.

 

Das Gutenberg-Museum in Mainz interessierte sich für das Verhältnis zwischen historischer Arbeit und freier Erfindung in diesem Projekt. Es fragte Sie in einem Interview:

"War die Arbeit mit den Fragmenten der Bauhaus-Meister mehr Archäologie oder kreativer Prozess?"

Ihre Antwort darauf verstehe ich nicht:

"Beides. Bei allen Arbeiten mit historischen Quellen muss man raten, was damals wohl die Absicht war, was technisch nicht besser ging und was der/die Entwerfer*in vielleicht nicht besser konnten."

 

Warum raten? Es gibt Forschungsergebnisse.

 

(„Alles sollte neu gedacht werden.“ Interview mit Erik Spiekermann in der Oktoberausgabe des Magazins „bauhaus100“)